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Heft Nr. 6 (Jg. III, H.1/2008)   (ISSN 1862-9695;  ISBN 978-3-8322-6932-6)

 

 

 

Georg Vobruba: Globalisierung und ihre Interpretationen

In dem Beitrag wird der Vorschlag entwickelt, den Globalisierungsbegriff und seine Verwendung in sozialwissenschaftlichen und politischen Kontexten selbst als Bestandteil des Forschungsgegenstandes „Globalisierung“ zu begreifen. Dies setzt eine zweistufige Definition von Globalisierung voraus, die eine institutionelle und eine  Deutungsmusterebene einschließt. Auf diesem Wege lässt sich eine Forschungsperspektive erschließen, in der  die Besonderheiten der gegenwärtigen Globalisierungswelle gegenüber allen retrospektiv so bezeichneten früheren klar werden.

Bruno Hildenbrand : Krisen der Landwirtschaft und ihre Bewältigung – die Perspektive der Resilienz

Der Begriff „Resilienz“ bezieht sich auf die Fähigkeit von Akteuren, Familien und Institutionen, mit Krisen nicht nur fertig zu werden, sondern sogar gestärkt daraus hervor zu gehen. Dieses Konzept wird zunächst vorgestellt und dann am Beispiel der Bewältigung von Krisen in der Landwirtschaft, v. a. von Bestandskrisen landwirtschaftlicher Familienbetriebe, diskutiert. Abschließend werden Konsequenzen für die Beratung landwirtschaftlicher Familienbetriebe gezogen.

 

Vera Sparschuh : Die Traditionen des „traditionslosen Milieus“ – Schicksalsorientierung in Ostvorpommern

Obwohl in der sozialwissenschaftlichen Forschung der Bundesrepublik in den 1990er Jahren die Diskussion über neue Formen gesellschaftlicher Spaltung wieder in Gang kam, blieb die empirische Beschreibung von „dauerhaft armen Lagen“, sofern diese nicht kurzfristig mit Sozialhilfebezug verbunden waren, bislang unterbelichtet. Es fehlt Wissen über Milieus, die im Kontext von dauerhaft prekären Lebenslagen existieren,  der Hinweis auf die Existenz von „traditionslosen“ Milieus genügt nicht. Am Beispiel einer Familiengeschichte aus Ostvorpommern wird im Beitrag gezeigt, dass ländliche Milieus keineswegs „traditionslos“ sind, sondern dass Familientraditionen über mehrere Generationen weiter bestehen. Anhand der Rekonstruktion eines Familienfalles lässt sich eine schicksalhafte familiäre Grundorientierung nachweisen. Die Fallanalyse dieser Familie belegt, dass nicht die Interviewten ihr Leben explizit schicksalhaft wahrnehmen, erst aus der Erzählung ihrer Handlungspraxis lässt sich diese Einstellung rekonstruieren. Es wird weiterhin gezeigt, auf welche Weise der seit 1989 veränderte soziale Kontext innerhalb der bestehenden Traditionen bearbeitet wird. Das Beispiel verdeutlicht insbesondere, dass ländliche Milieus für die Konfrontation mit Arbeitslosigkeit und damit verbundene Anforderungen wenig „vorbereitet“ sind.

Karl Friedrich Bohler : Ländliche Jugendhilfe im Spannungsfeld von traditionellen und modernen Verhaltensnormen

Die Kinder- und Jugendhilfe im Allgemeinen steht vor dem Strukturproblem, dass das einschlägige Gesetz (KJHG/SGB VIII) bei den Klienten von einer modernen, autonomen Handlungsorientierung ausgeht. Diese kann jedoch bei Klienten erzieherischer Hilfen aus der Unterschicht - schon aus Gründen der familialen Desorganisation - nicht generell unterstellt werden. Die Problematik auf Grund traditioneller Orientierungen verschärft sich bei psychosozialen Hilfen auf dem Land. Hinsichtlich des Autonomiepotentials ist die Situation bei den Nachkommen der Landarbeiter in den ehemaligen Güterdistrikten besonders prekär. Die Gratwanderung zwischen Hilfe und Kontrolle, die in diesen Fällen von Seiten der sozialpädagogischen Fachkräfte notwendig wird, zeigt ein beispielhafter Fall von der Insel Rügen.

Anna Engelstädter und Anja Schierbaum : Online-Beratung.
Grenzen professionellen Handelns im virtuellen Raum

Die Familien- und Erziehungsberatung via E-Mail ist eine internetbasierte Beratungsform, die vorwiegend von internetbegeisterten Jugendlichen, solchen mit Schwellenangst bzw. Hemmungen vor Beratungsangeboten, behinderten und kontaktarmen Jugendlichen genutzt wird. Die Besonderheit dieser Beratung liegt in ihren strukturellen Merkmalen: schnelle Erreichbarkeit, direkter Zugang (kosten- und antragsfrei), Anonymität, zeitnahe Antwortstruktur und Niederschwelligkeit, die sie eindeutig von der Beratung von Angesicht zu Angesicht in einer Erziehungs- und Familienberatungsstelle differenzieren. Dennoch ist diese spezifische Kommunikationsform durch weitere implizite Merkmale gekennzeichnet, die professionell Handelnden im virtuellen Raum Grenzen auferlegen. Diese Grenzen – charakterisiert durch das aus der Balance geratene Verhältnis von Nähe und Distanz und der Schwierigkeit des Beziehungsaufbaus zum Ratsuchenden/Klienten aufgrund von wechselseitiger Anonymität - werden in diesem Beitrag aufgedeckt und an einem Fall beispielhaft diskutiert

Joachim F. Baumhauer : Hexenwahn im Atomzeitalter. Johann Kruse und die „Hexenprozesse“ der 1950er Jahre

Die - gehäuft auftretenden und Schlagzeilen machenden - „Hexenprozesse“ der 1950er Jahre waren Justizverfahren gegen Dorf- und Kleinstadtbewohner, die Mitmenschen als Hexen bezichtigt hatten. Urheber der Verleumdungen waren häufig „Hexenbanner“: Laienheiler, die Krankheiten und „Pech“ auf dem Hof auf „böse Mächte“ zurückführten, die angeblich schädigende Person durch magische Zeremonien ermittelten und so den Sanktionen der Gemeinschaft preisgaben. Johann Kruse, ein pensionierter Lehrer aus Altona, kämpfte in aufklärerischer Tradition gegen diesen „Aberglauben“ und war oft Initiator der Aufsehen erregenden Ereignisse. In dem von ihm initiierten Prozess gegen die Braunschweiger Verleger des „6. und 7. Buch Moses“ mit magischen und paramedizinischen Anweisungen standen sich als Gutachter der Volkskundler Will-Erich Peuckert und der Rechtsmediziner Otto Prokop gegenüber, die eine „romantisch“ verklärende beziehungsweise „aufklärerisch“-kämpferische Position bezogen. Durch die Berufung Prokops an die Ostberliner Charité geriet der Prozess ins Fahrwasser des Kalten Kriegs. Heute befindet sich das von Johann Kruse gesammelte Material im Museum für Völkerkunde Hamburg, wo es inzwischen eine Erweiterung und Umdeutung in Richtung „New Age“ erfahren hat.