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Land-Berichte. Sozialwissenschaftliches Journal. H. 1-2013

Zusammenfassungen

Karl Friedrich Bohler: Heiratsregeln und Cousinenheirat in archaischen Gesellschaften sowie in neuzeitlichen bäuerlichen Gesellschaften

Wichtig ist es in einer struktur- und praxistheoretischen Betrachtung von Heiratsregeln im Rahmen der sozialen Reproduktion, die Ebenen der gesellschaftlichen Systemstrukturen, die der Habitusformen und der konkreten Praxis der Akteure zu unterscheiden. Bei einer Analyse von Heiratsregeln ist die Differenzierung von Oberflächen und Tiefenstrukturen unerlässlich. Das manifeste Faktum von Heiratstypen, wie auffallend häufigen Cousinenheiraten, kann tiefenstrukturell unterschiedlich begründet sein. Verbunden sind damit je verschiedene soziale Bedeutungen und Handlungsmotive. Die Feststellung, dass die Heiratsregeln im Verlauf der Zeit immer mehr Raum für subjektive Motive ließen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, wie sehr diese von sozialen Voraussetzungen und habitualisierten Dispositionen abhängig sind.

Peter Bahn: Waldenser in Württemberg. Landsiedlungen einer ethnischen und religiösen Minderheit aus Okzitanien im 18. Und 19. Jahrhundert

1699 siedelte der Herzog von Württemberg im Nordwesten seines Herrschaftsgebietes rund 2100 waldensische Glaubensflüchtlinge aus Savoyen an. Es handelte sich um Angehörige einer seit dem Hochmittelalter bestehenden vorreformatorischen Bewegung, die zeitweilig eine europaweite Verbreitung hatte. Die Herkunftssprache der in Württemberg angesiedelten Waldenser war weder das Französische noch das Italienische, sondern das Okzitanische. Im Laufe von rund zwei Jahrhunderten passten sich die Waldenser in Württemberg aufgrund verschiedener externer Einflüsse in religiöser, kultureller und sprachlicher Hinsicht so gut wie vollständig an ihre deutsche Umgebung an.

Peter Bussler : Die „Duhner Malerkolonie“. Bedeutende Künstlerdörfer im Raum Cuxhaven um 1900

Auf Anregung des bedeutenden Karlsruher Landschafts- und Marinemalers Professor Gustav Schönleber (1851-1917) entstand 1895 auf Cuxhavener Gebiet eine Malerkolonie, die von Karlsruher Akademieschülern und ihrem Lehrer, Prof. Carlos Grethe, in den heutigen Ortsteilen Duhnen  und Altenwalde gegründet wurde. Grethe selbst hatte zeit seines Lebens die „Künstlerkolonie-Bewegung“ tatkräftig unterstützt. Neuzeitliche Strömungen und Kunstauffassungen hatten schon zu Beginn der 1890er Jahre die Bildung von Künstlerkolonien gefördert. Im Cuxhavener Küstenraum bot sich ein reiches Betätigungsfeld. Rasch wechselnde Stimmungen der Nordsee, die Naturgewalten des Meeres, das Leben der Lotsen und die eigentümliche Arbeitswelt der Fischer und Bauern sollten bis 1903 bevorzugte Motive dieses Künstlerkreises werden.

Gerd Vonderach: Die Modernisierung der Landwirtschaft am Beispiel des Heidedorfes Egestorf und der Beginn des Naturschutzparks Lüneburger Heide Anfang des 20. Jahrhunderts

Der Beitrag berichtet von einem bemerkenswerten lokalen Fall des Zusammentreffens zeittypischer ländlich-regionaler Entwicklungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Heidedorf Egestorf vollzog sich die dort zur damaligen Zeit von einem französischen Soziologen untersuchte Modernisierung der dörflichen bäuerlichen Landwirtschaft, während fast gleichzeitig die Bestrebungen zum Naturschutzgebiet Lüneburger Heide begannen. Für beide Entwicklungen kommt der Initiative und Tatkraft des damaligen Egestorfer Dorfpastors, einer zeittypischen kraftvollen und eigenwilligen Persönlichkeit, die Schlüsselrolle zu.

Anne Margarian : Der ländliche Strukturwandel in Europa: Eine Herausforderung für Politik und Wissenschaft

Die ländlichen Regionen Europas sind einem andauernden Strukturwandel ausgesetzt, der zu massiven wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen führt. Die Politik zur Entwicklung der ländlichen Räume reagiert darauf mit den klassischen Instrumenten der Förderung des Agrarsektors. Dieser Ansatz ist möglicherweise politischer Pfadabhängigkeit geschuldet. Die dahinter stehende vereinfachende Annahme, dass der Erhalt landwirtschaftlicher Arbeitsplätze generell gut für die wirtschaftliche Entwicklung ländlicher Räume sei, wird theoretisch und empirisch widerlegt. Dabei wird deutlich, dass das vereinfachte Handlungsmodell der Politik möglicherweise auch den Wissensdefiziten zu Determinanten und Verlauf des ländlichen Strukturwandels geschuldet ist. Es besteht noch erheblicher Forschungsbedarf, wenn die Gestaltung einer effektiven Politik zur Unterbrechung drohender Abwärtsspiralen in ländlichen Regionen wissenschaftlich unterstützt werden soll.

Anton Sterbling : Sicherheit und Lebensqualität in einer Grenzregion. Ergebnisse empirischer Untersuchungen in Görlitz und Hoyerswerda 1998 bis 2012

Gestützt auf sechs Bevölkerungsbefragungen, die im Zeitraum 1998 und 2012 in den Städten Görlitz und Hoyerswerda durchgeführt wur­den, werden in diesem Beitrag ausgewählte Befunde zu längerfris­tigen Entwicklungen und aktuellen Problemen vorgestellt. Dabei geht es um drei Schwerpunkte, nämlich erstens um allgemeine Aspekte der Le­bensqualität, zweitens um die Zufriedenheit mit der öffentlichen Si­cherheit und um Kriminalitätsfurcht unter Einbeziehung „objektiver“ Befunde zur Kriminalitätsbelastung und drittens um globale und euro­päische Entwicklungen wie den internationalen Terrorismus, die EU-Erweiterung und die Ausdehnung des „Schengen-Raumes“ und deren Auswirkungen auf das Sicherheitsempfinden der Bürger.