« Zurück zur Übersicht

Land-Berichte. Sozialwissenschaftliches Journal. H. 1-2018

Zusammenfassungen

Karl Friedrich Bohler: Entwicklungskrisen in Ländern der Dritten Welt aus der Sicht Albert O. Hirschmans

Bäuerliche Rebellionen und ländliche Widerstandsbewegungen finden sich vor etwa 1900 im neuzeitlichen Europa im Süden (Süditalien, Südspanien) oder Südosten (Rumänien) – und dort v.a. in Gebieten mit Großgrund- bzw. Latifundienbesitz sowie einem wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsrückstand. Albert O. Hirschman betrachtet die Verhältnisse im 20. Jahrhundert v.a. in Lateinamerika und stellt ähnliche Krisenerscheinungen wie früher in Europa fest: Legitimationsprobleme der politischen Ordnung, wirtschaftliche Unterdrückung (u.a. im Plantagensystem) und fehlende soziale Anerkennung. Wollen die unterdrückten Bevölkerungsteile nicht andauernd in „militanter Apathie“ verharren, haben sie die Alternative von exit/Abwandern oder voice/Widerspruch und Widerstand. Welche Wahl sie treffen, welche Rolle spezifische Formen des vertikalen und horizontalen Widerspruchs dabei spielen, determiniert den weiteren regionalen oder nationalen Entwicklungspfad, die Art und den Umfang seiner Modernisierungsschübe entscheidend mit.

Peter Bussler: Impressionen aus dem nördlichen Elbe-Weser-Gebiet zwischen Cadenberge und Cuxhaven

Die relativ späte verkehrliche Erschließung des nördlichen Elbe-Weser Raumes zwischen seinen nahe zusammenliegenden Mündungsgebieten der Elbe und Weser lässt kaum vermuten, dass es schon vor Jahrhunderten Reisende, Seefahrer, Wissenschaftler oder Kunstschaffende gegeben hat, die sich von den Eigenheiten und Besonderheiten dieser geographisch so abgelegenen und einstmals schwer zugänglichen Region angezogen fühlten. Dabei fällt auf, dass einige Reisende sich bei der Berichterstattung nur an Äußerlichkeiten gehalten haben, andere dagegen ihre ausgezeichnete Beobachtungsgabe schon damals erkennen lassen, so wie man diese zu Recht bei heutigen Reisebeschreibungen einfordert. Aus Zeit- und Platzgründen ist man jedoch gehalten, sich bei vorliegendem Thema beispielhaft auf wenige Erlebnisberichte und Schilderungen zu beschränken.

Peter Bussler: Vom entbehrungsreichen Leben der „Schillscheppers“. Muschelkalkbrennereien sind seit hundert Jahren aus dem Landschaftsbild der Küstendörfer verschwunden

Bis um 1900 war Zement als Baustoff weitgehend unbekannt; man benutzte stattdessen Muschelkalk als Mörtel. Das dafür benötigte Rohmaterial wurde mit flachgehenden Wattewern auf den Muschelbänken gewonnen. Die Männer mussten gelegentlich bis zu zwei Wochen auf See bleiben, um ihre Schiffe bei Ebbe mühsam zu füllen. Zurück an Land angekommen, wurde der wertvolle „Schill“ in Otterndorf, Cuxhaven oder Duhnen mit Pferdefuhrwerken zu den Kalkbrennereien transportiert und zu wertvollem Muschelkalk verarbeitet. Erst nach zwei bis drei Tagen erlosch das Feuer, danach musste der fertige Kalk noch geraume Zeit lagern, bevor er verkaufsfertig in den Handel gelangen konnte. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erloschen die letzten Kalkbrennöfen an der Niederelbe, deren nächtlicher Schein den Himmel über Jahrhunderte gespenstisch beleuchtet hatte.

Peter Bussler: Die Watteninsel Neuwerk im 19. Jahrhundert - Vom beschwerlichen Leben, den Sorgen und Eindrücken eines Junglehrers

Am Beispiel des Junglehrers Segebrecht wird deutlich, wie entbehrungsreich das Leben eines Lehrers auf der Watteninsel Neuwerk im 19. Jahrhundert war, da die auf der Insel eingesetzten Schulmeister  nicht verheiratet sein durften, was sicherlich entscheidend dazu beigetragen haben dürfte, dass die Fluktuation groß war. Waren die Lehrer zunächst abwechselnd bei den Einwohnern untergebracht, erhielten sie ab 1840 endlich eine freie „Wohnung“ auf dem Leuchtturm gestellt. Auch das Einkommen war außerordentlich kläglich, und zu allem Ungemach kam zumeist noch der Reihetisch dazu, durch welchen man sich in einer gewissen Abhängigkeit befand.

Heinrich Becker: Zum frühen Erzählgut an der irischen Westküste

Der bereits im Jahr 1985 verfasste Aufsatz des Keltologen Heinrich Becker beruht auf seinen Quellenforschungen und seinen in der Weltkriegszeit in gälischer Sprache geführten Gesprächen mit Bewohnern der Aran-Inseln. Das in frühen Zeiten entstandene irische Erzählgut ist von vielgestaltiger Fülle  und an der atlantischen Küste und auf den Inseln von der urtümlichen Meereskultur geprägt. Gleichermaßen reizvoll sind die auf  wirkliches Geschehen blickenden Geschichten und die Fabeln mit dem tiefverwurzelten Glauben an die Geistwesen an Land und Meer. Berichtet wird etwa von einem armen Schulmeister, der Nahrung stehlende Ratten mit einem Spruch bannte. Ähnlich gab es bereits im Mittelalter einen Rattenspruch der Meisterbarden. Hingewiesen wird auf die Wortmagie der machtvollen Druiden und Barden und auf die Fortführung ihrer Hochdichtung in der Volksüberlieferung.      

Andreas Sauer: Die Gusti-Schule und ihre Anliegen, Untersuchungen, Bedeutung und Wirkungen

Die Anliegen und das Wirken der Schule des bekannten rumänischen Soziologen Dimitrie Gusti wird zunächst vor den zeitgeschichtlichen Hintergründen der Zwischenkriegszeit und insbesondere der 1930er Jahre dargestellt. Anschließend werden wichtige Ergebnisse der empiri­schen Forschungsarbeiten dieser Schule über den Zustand und die Le­bensverhältnisse der rumänischen Dörfer vorgestellt. Dabei wird erkennbar, wie eng die sozialwissenschaftlichen Forschungen und die sozialreformerischen und sozialpolitischen Anliegen dieser Forschungsbewegung miteinander verzahnt waren.