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Land-Berichte. Sozialwissenschaftliches Journal
Heft 2 / 2011

Zusammenfassungen

Gerd Vonderach : Gibt es für Landsoziologen keine interessanten Themen mehr ? (S.11-27)

Der Beitrag geht der Frage nach, welche gegenwärtigen Themen in (post)industriellen Gesellschaften trotz des geschwundenen Stadt-Land-Gegensatzes noch konstitutiv für die Landsoziologie sein können. Am Beispiel der gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland werden zunächst wichtige Fragen und auch neuere Themen der Landwirtschaft, der Landschaftsnutzung und der Mensch-Tier-Beziehungen genannt. Ein anderer Themenkomplex ergibt sich aus den gegenwärtigen und zukunftsbestimmenden demographischen, sozialstrukturellen und auch sozialkulturellen Entwicklungen in ländlichen Lebensverhältnissen und ihren regionalen Differenzierungen. Die thematische Zusammenhänge und interdisziplinäre Aspekte berücksichtigende landsoziologische Diskussion verspricht hier ergiebige Forschungsfelder.  

Karl Friedrich Bohler und Bruno Hildenbrand : Schichtungsmuster, regionale Mentalität und Humankapital in Landgebieten Deutschlands entlang der Nord-Süd- und Ost-West-Achse (S.28-51)

Die Entwicklung im wiedervereinigten Deutschland nach 1990 findet erstens vor dem Hintergrund einer alten Nord-Süd-Differenz hinsichtlich des Schichtungsmusters, der Mentalität und des Humankapitals sowie zweitens im Schatten der politischen Systemdifferenz zwischen Ost und West in der Phase von 1945 und 1990 statt. Das ländliche Deutschland lässt sich historisch mit Hilfe von vier Regionaltypen im Nordosten, Nordwesten, Südosten und Südwesten kennzeichnen, denen jeweils spezifische Sozialstruktur- und Ressourcenprofile entsprechen. Es ist davon auszugehen, dass die ältere Nord-Süd-Differenz an Bedeutung gewinnt und längerfristig an Stelle der Ost-West-Disparität wieder zur wichtigsten sozialen Differenzierungslinie in Deutschland wird.

Jennifer Schweiger, Sara Widmer und Hans Wydler : Arbeitszufriedenheit bei Care Farmern in der Schweiz (S.52-69)

In der Landwirtschaft werden seit Jahrzehnten Menschen mit besonderen Bedürfnissen betreut. Diese Betreuungsformen gewinnen derzeit an Relevanz, da das Potenzial eines Familienbetriebs als Betreuungsumfeld neu entdeckt wird. An die betreuenden Haushalte richtet sich die Erwartung, durch ihre Leistungen zur Teilhabe und Ressourcenstärkung der betreuten Zielgruppen beizutragen. Netzwerkorganisationen unterstützen eine adäquate Betreuung und Förderung der betreuten Personen, und sie unterstützen zugleich die Familienbetriebe bei ihrer Tätigkeit. In dem Beitrag wird über eine empirische Studie zu den Arbeitsmotivationen und Arbeitsbedingungen der Leistungserbringer in Schweizer Familienbetrieben berichtet. Für eine gute Qualität der erbrachten Leistungen ist es wichtig, dass alle beteiligten Akteure eine positive Bilanz aus der Betreuungssituation ziehen können. Aus der Perspektive der Betreuenden ist dies zur Zeit nur teilweise der Fall.

Wojciech Kniec : Die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union als Quelle ihrer bürokratischen Funktionsfehler – das Beispiel von Polen  (S.70-90)

In dem Beitrag wird insbesondere der Übergang von den nur die Interessen der Dorfbewohner berücksichtigenden Begründungen (Erhaltung der ländlichen Einkommen, Überwindung der multidimensionalen Dorfkrise usw.) bis zur Konzeption der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) als eines Instruments zur Schaffung öffentlicher Güter (Biovielfalt, Landwirtschaft, ländliche Kultur, kulinarisches Erbe usw.) in dem Ausmaß der globalen Gesellschaft untersucht. Weiterhin konzentriert sich die Analyse der die GAP begleitenden bürokratischen Strukturen auf die Veranschaulichung der von ihnen bewirkten Funktionsfehler, die u.a. wesentliche Verspätungen bei den Auszahlungen zur Folge haben, von der Inanspruchnahme der europäischen Mittel abhalten und die Initiativen der kommunalen Verwaltungen blockieren.

Peter Bahn : Vertreibung, Integration und Tradition. Vertriebene aus der Wischauer Sprachinsel in einer badischen Kleinstadt  (S.91-106)

Die nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgende Vertreibung des überwiegenden Teils der deutschsprachigen Bevölkerung aus den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reiches und den Ländern Ostmitteleuropas wies hinsichtlich der konkreten Verlaufsformen ebenso wenig eine einheitliche Struktur auf, wie die daran anschließende Integration der Vertriebenen vor allem in Westdeutschland. Sowohl in den Herkunfts-, als auch in den späteren Aufnahmegebieten waren es unterschiedliche Faktoren, durch die die Art und Weise der Vertreibung und später der Integration bestimmt wurden. Am Beispiel einer bestimmten Vertriebenengruppe – der Bewohner der Wischauer Sprachinsel, eines kleinen, bis 1945/46 überwiegend deutschsprachigen Siedlungsgebietes in Mähren wird versucht, dies deutlich zu machen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Integration einer Teilgruppe der aus der Sprachinsel Vertriebenen in der badischen Kleinstadt Bretten (Landkreis Karlsruhe). Aufgezeigt wird dabei, wie sehr die am Aufnahmeort anzutreffenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen den Integrationsprozess prägten.

Ueli Mäder : Verdingkinder in der Schweiz (S.107-122)

Behörden platzierten in der Schweiz Tausende von Kindern aus armen und zerrütteten Familien bis weit ins 20. Jahrhundert hinein bei fremden Familien, bei denen sie oft hart mitarbeiten mussten. Biographien dieser Verdingkinder zeugen von oft misslichen Erfahrungen. Viele Kinder erfuhren Ablehnung, Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch. Und sie reagierten mit unterschiedlichen Bewältigungsversuchen. Die einen gaben sich dem Schicksal hin, andere entwickelten ansatzweise widerständige Verhaltensstrategien. Dabei interessiert, was Ohnmacht und Resignation in Empörung und Wut verkehren lässt und engagiertes Handeln ermöglicht. Wir gehen dieser Frage anhand von Biographien nach und achten dabei auch darauf, wie sich Gesellschaftliches im Biographischen dokumentiert und methodisch fassen lässt.