ZusammenfassungenAntje Schneider und Marc Redepenning : Ländlichkeit und räumliche (Im)Mobilität. Bemerkungen zur Funktion raumbezogener Figuren aus geographischer Sicht (S. 10-27)Der vorliegende Artikel erörtert das Verhältnis von Ländlichkeit und räumlicher (Im)Mobilität. Kernargument ist, dass es nicht eine Ländlichkeit gibt, sondern diese als eine geographische Imagination aufzufassen ist, die mehrere gesellschaftlich kommunizierte Figuren kennt. Nach der Identifizierung von vier unterschiedlichen Figuren innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses um die Lebensbedingungen in ländlichen Gebieten wird analysiert, wie Personen im Zuge einer autobiographischen Narration diese Figuren individuell aneignen und rationalisieren. Dazu wird eine exemplarische Analyse eines narrativen Interviews durchgeführt. Wir plädieren schließlich dafür, dass die raumbezogenen Praktiken der Menschen nur dann angemessen verstanden werden, wenn eine wissenschaftliche Raumanalyse durch diese subjektiven Geographien des eigenen Lebens komplementiert wird. Karl Friedrich Bohler : Der junge Pierre Bourdieu zwischen strukturalistischer Kulturanalyse und ethnografischer Agrarsoziologie (S. 28-45) Bourdieus Aufsätze und Bücher stellen für die Leser sehr anspruchsvolle Herausforderungen dar. Sie sind ob ihrer Komplexität schwer zu verstehen. Hilfreich ist dann ein Blick auf die Biographie und die frühen Untersuchungen. Mehr noch als für die ethnologischen Studien in Algerien gilt dies für die agrar- und landsoziologischen Arbeiten Bourdieus über die Krise der bäuerlichen Gesellschaft seiner Herkunftsregion, des südwestfranzösischen Bearn. Sie stehen besonders im Schnittfeld von biographischer Erfahrung und soziologischer Reflexion im Rahmen von Sozialforschung. Diese Studien bieten die Möglichkeit, wichtige Schritte des frühen Lebenslaufs und der Theorieentwicklung in ihrem Ursprungskontext nachvollziehen zu können. Deutlich wird so der Initiationsvorgang, über den Bourdieu in die Soziologie und zu den für ihn typischen Forschungsfragen gelangte. Kenneth Anders : Subsistenzwirtschaft im Oderbruch (S. 46-59) Das Oderbruch ist eine pfadabhängige Landschaft, die durch große moderne Agrarbetriebe und ein prekäres Verhältnis zum Wasser geprägt ist. Während es kaum mittlere landwirtschaftliche Betriebe gibt, findet man in der Bevölkerung eine ausgeprägte subsistenzwirtschaftliche Kultur, die im Rahmen einer Sommerschule des Oderbruchpavillons untersucht wurde. Diese Kultur wird als ein Netz verschlungener und alternativer Pfade der Landschaftsnutzung beschrieben, das über sich selbst, also über die bloße Subsistenz, in eine landschaftliche Vielfalt und geringere Pfadabhängigkeit hinausweist. Verbunden damit wird ein allgemeines Plädoyer für eine intensivere öffentliche Auseinandersetzung mit dem Selbstorganisationspotenzial subsistenzwirtschaftlicher Strategien. Gerd Vonderach : Ländliche Industriearbeiter(innen) vor vierzig Jahren (S. 60-75) Anfang der 1970er Jahre war das damalige Westdeutschland noch von einer ausgesprochenen Industriegesellschaft geprägt, in der die Arbeiterschaft die Hälfte der Erwerbstätigen bildete. Viele Arbeiter lebten auf dem Lande und pendelten zur Arbeit in städtischen Industrienbetrieben. Der Beitrag berichtet von einer damaligen Befragung ländlicher Arbeiter(innen) zu ihrer Berufsentwicklung, Lebenslage und Berufs- und Bildungsorientierung. Die meisten Befragten zeigten sich unzufrieden mit ihrer Schul- und Berufsentwicklung. Typisch war ein – oft mehrfacher – Berufs- und Tätigkeitswechsel, für die Männer meist verbunden mit einer beruflichen Dequalifikation, bei den Fließband- und Maschinenarbeiterinnen verbunden mit einer starken Arbeitsbelastung. Bemerkenswert waren die beträchtlichen Einkommensunterschiede der Arbeiterhaushalte, die damals noch hohen Kinderzahlen und die deutlichen Unterschiede in den familiären Bildungsmotivationen für die Kinder. Martin Beischl : Kroatiens Landwirtschaft vor dem EU-Beitritt – Strukturelle Probleme, Beitrittsbedingungen und die Bedeutung der Bauernproteste (S.76-91) An Hand dieses Beitrags wird dargelegt, dass Kroatiens Landwirte auf Grund der enormen strukturellen Probleme des nationalen Agrarsektors dem unmittelbar bevorstehenden Beitritt ihres Landes zur Europäischen Union mit erheblichen, primär ökonomisch motivierten Vorbehalten entgegentreten, ihn aber implizit als beschlossene Sache betrachten und akzeptieren. Vor dem Hintergrund drastischer Sparmaßnahmen und einer wachsenden Entfremdung der Landwirte gegenüber dem politischen System entzündeten sich daher in den letzten beiden Jahren heftige, nahezu ausschließlich an die nationalen Agrarpolitik gerichtete Proteste, da diese es versäumte, die kroatische Landwirtschaft auf dem europäischen Markt wettbewerbsfähig zu machen. Joachim Grube : 100 Jahre moderne Architektur – Versuch eines kritischen Rückblicks (S. 92-102) Die Entwicklungsgeschichte der modernen Architektur ist zugleich ein Spiegel der veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. So lässt sich die Moderne in vier Zeitphasen gliedern: Eine erste Phase beginnt 1900 und endet 1934, dem Ende des Bauhauses in Deutschland. Wenn die Zeit des Nationalsozialismus ausgeklammert wird, folgt die Neuaufbauphase von 1945 bis 1975, die noch weitgehend durch die Bauhaus-Ideologie geprägt ist. Mit dem Denkmalschutzjahr 1975 beginnt die dritte Phase, die gekennzeichnet ist durch ein neues Bewusstsein für die bis dahin vernachlässigte Baugeschichte. Etwa seit 1990 ist die Moderne in zahlreiche „Ismen“ aufgespaltet. Zusätzlich breitet sich eine computergestützte Architektursprache unvermittelt neben dem Bemühen um Erhalt und Sanierung der historischen Siedlungs- und Hausbestände aus.
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